Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
wer es sich im alten Frankfurt leisten konnte, zog im Sommer an den Main. Zu beiden Seiten des Flussufers reihten sich Landhäuser und Sommervillen der wohlhabenden Bürger und Bürgerinnen aneinander. An der Windmühle, am heutigen Untermainkai, besaß einst die Künstlerfamilie Merian ein Landgut. Auf diesem Anwesen lebte spätestens seit 1729 im Sommer und seit 1745 sogar im ganzen Jahr der Schriftsteller Johann Michael von Loёn, der den Garten zu seinem barocken Paradies umgestalten ließ. Für dessen Ausschmückung mit antiken Göttinnenfiguren und üppigen Ziervasen verpflichtete er einen der renommiertesten Bildhauer der Stadt. Den Künstler, der seinerzeit nicht nur zur Anfertigung steinerner Gartenskulpturen in Frankfurt gefragt war, stellt der diesmalige Artikel des Monats vor.
Artikel des Monats Juli 2025:
Barock für Kirche und Garten
Er war ein bedeutender Vertreter der barocken Bildhauerkunst in Frankfurt: Cornelius Andreas Donett. Der gebürtige Frankfurter verbrachte seine Lehrjahre in seiner Heimatstadt, bei Johann Wolfgang Frölicher, bei dem er einen weithin tätigen Großbetrieb in der Bildhauerkunst kennenlernte. Nach Frölichers Tod 1700 ging Donett als Geselle zu dem späteren Hofbildhauer Franz Matthias Hiernle in Mainz. Wohl bald nach seiner Heirat 1712 nach Frankfurt zurückgekehrt, ließ sich der Bildhauer mit einer eigenen Werkstatt in der Alten Mainzer Gasse gegenüber dem Karmeliterkloster nieder. Um 1730 war Donett maßgeblich an der barocken Innenausstattung der Deutschordenskirche in Sachsenhausen und der Kapuzinerkirche in der Töngesgasse beteiligt, für die er jeweils die Figuren für den Hochaltar in Holz schuf. Das von ihm stammende Kruzifix aus der 1803 abgebrochenen Kapuzinerkirche befindet sich heute im Hochchor des Frankfurter Doms.
Der vielseitige Künstler bearbeitete verschiedenste Materialien wie Stein, Holz, Elfenbein, Alabaster, und zwar sowohl in Groß- als auch in Kleinskulptur. Aus Stein fertigte er etwa die Fassadenfiguren des Kaisers Karl VII. für das Gasthaus „Zum Römischen Kaiser“ auf der Zeil und des englischen Königs für das Gasthaus „Zum König von England“ in der Fahrgasse, die heute im Historischen Museum überliefert sind, ebenso wie die vielen Gartenskulpturen, die er im Auftrag vornehmer Frankfurter Familien für deren Anwesen schuf. Als der „Sculptator celebris“ (der berühmte und gefeierte Bildhauer) am 12. August 1748 gestorben war, fand er seine letzte Ruhestätte in der Karmeliterkirche.
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Wenige Tage später, am 20. August 1748, gab es auf dem Loёn’schen Landgut an der Windmühle einen weitaus erfreulicheren Anlass zu feiern: Catharina Elisabeth Textor und Johann Caspar Goethe wurden dort getraut. Der Hausherr Johann Michael von Loёn war ein angeheirateter Onkel der Braut, der sein beschauliches Anwesen für die Hochzeit im privaten Rahmen zur Verfügung stellte. Im August des folgenden Jahres brachte die junge Frau Goethe ihr erstes Kind zur Welt, Johann Wolfgang Goethe, den heute alle als „Frankfurts größten Sohn“ kennen. Um Zwischenrufen von Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, vorzubeugen: Goethe wurde natürlich in seinem Elternhaus am Großen Hirschgraben geboren – und nicht auf jenem Landgut an der Windmühle, zu dem wir aber trotzdem noch einmal zurückkehren oder, aus Goethes Sicht, vorauseilen wollen.
Im Juni 1879 zog der Bauunternehmer Philipp Holzmann mit seiner Familie auf das frühere Loёn’sche Anwesen, jetzt Untermainkai 70, wo er das barocke Landhaus nach seinem Geschmack hatte umbauen lassen. Durch den alten und etwas verwunschenen Park mit Donetts antiken Göttinnen streifte nun ein kleines Mädchen mit seinem Holzpferd, Holzmanns jüngste Tochter Lina Susanna, die schon früh Talent zum Malen zeigte, aber erst einmal einen preußischen Offizier heiraten wollte. Unter ihrem Ehenamen Lina von Schauroth wurde sie zur Künstlerin, deren Biographie in einem in der jetzigen Julilieferung neu erschienenen Artikel nachzulesen ist. Lina von Schauroth macht es der heutigen Betrachterin und dem heutigen Betrachter nicht leicht. Sie schuf gleichzeitig trutzige Kriegerehrenmale von nationalistischem Pathos und elegante Glasschlifffenster von bezaubernder Leichtigkeit. Ihr Leben ist voller Brüche und Widersprüche – bis zum letzten Atemzug. Das letzte, was die Sterbenskranke vor ihrem Tod im Alter von fast 96 Jahren 1970 zu sich nahm, waren ein paar Löffel „Krottebrüh aus Niederrad“, also Schildkrötensuppe von Lacroix. Dabei war sie ein Leben lang engagierte Tierschützerin gewesen.
Das Hauptwerk von Lina von Schauroth sind die Glasfenster für die Alte Nikolaikirche auf dem Römerberg. Nur ein paar Schritte davon entfernt, in der Skulpturengalerie vor dem Neubau des Historischen Museums, stehen heute vier Figuren und zwei Vasen von Cornelius Andreas Donett aus dem früheren Garten am Untermainkai.
Wenn Sie im Sommer jedoch lieber nicht durch die Stadt flanieren wollen, dann mögen Sie, liebe Leserinnen und Leser, auch im heutigen Frankfurt ein kühles und schattiges Plätzchen am Fluss oder im Park finden. Vielleicht haben Sie ja Lust, dort virtuell durch die neuen Geschichten aus der Geschichte im Frankfurter Personenlexikon zu spazieren.
Herzliche Sommergrüße
Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons
P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. August 2025.